In Entwicklungsprozessen können nicht nur inhaltliche Fehler das Ziel verfehlen, sondern auch Unstimmigkeiten im Management. Die Prozesssteuerung ist ein wichtiger Aspekt für dynamische Zielumsetzungen. Wie und wann lassen wir Dinge laufen und wie und wann greifen wir ein, um Inhalte neu korrigiert auszurichten. „Solang alles in Bewegung ist, lasse ich es laufen – wir greifen dann ein, wenn etwas ins Stocken gerät.“ ist eine weitverbreitete Strategie im Gesundheits- und Athletiktraining. Und definitiv kommen wir irgendwo an, solange wir regelmäßig weitermachen. Nur wo das dann eben am Ende ist, erkennen viele erst nach Reise. Das kann der Start in die Wettkampfsaison oder das nahende Ende einer Rehaphase sein. Nicht selten sind dann die hart erarbeiteten Ergebnisse zwar durchaus Fortschritte, aber das eigentliche Kernziel wurde dennoch verfehlt. Sich klare Gedanken über seinen Output zu machen ist schon mal ein erster essenzieller Schritt für den gewünschten Erfolg. Und im weiteren Verlauf gehört dann zwingend eine klare Steuerung der Inhalte, sowie der Methodik dazu.

Das „30 for 30“-Prinzip ist in Kern ein Organisations-Tool, welches vielen bereits bekannt ist. Rettungskräfte und Mitglieder von Behörden, wie auch Führungskräfte in der Wirtschaft sind über dieses Werkzeug vielleicht schon das ein oder andere mal in entsprechenden Seminaren gestolpert.

zum Fall:

Vor mir stand eine Wintersportlerin mit ambitionierten Zielen. Sie hatte Großes auf der Weltbühne im Biathlon vor und wer sich mit dieser Sportart auseinandersetzt, versteht sehr schnell, dass hier viele leistungsrelevante Facetten unterschiedlichster Richtung zusammentreffen müssen. Die Wettkampfsaison war vorbei und es stand die Reflexion des letzten Trainingsjahres an der Reihe. Ergebnisse wurden leider nicht erreicht und man hörte deutlich den Frust heraus, denn die Vorbereitung lieft in ihrem Empfinden reibungslos – keine größeren Pausen, keine Verletzung, keine größeren Probleme mit dem Material. Es stand alles auf Erfolg. Wir nahmen die Struktur der Vorbereitung ins Visier. Es dauerte nicht lange, bis wir gemeinsam auf einen deutlichen Trainingsschwerpunkt im Bereich der Ausdauer gestoßen sind. Im Vergleich dazu waren andere Inhalte, wie verschiedenste Kraftformen oder auch funktionelle Ansteuerungsfähigkeiten, in den Hintergrund gerückt. Zur weiteren Abklärung haben wir eine funktionelle Bewegungsanalyse durchgeführt, in der professionelle Coaches standardmäßig überprüfen, ob einzelne motorische Fähigkeiten auch im System über übergreifende Kompetenzen überhaupt die Möglichkeit haben, sinnvoll zusammen zu wirken. Und hier haben wir in ein Wespennest gestochen. Die Werte der isolierten Leistungsdiagnostiken waren grundsätzlich gut ausgeprägt. Aber dennoch hatte das motorische System deutliche Schwierigkeiten, diese in einer sportarttypischen Belastung kombiniert leistungsstark in Umsetzung zu bringen. Die Frage, die sich bei der Sportlerin auftat, war: Wann hätte sie in all den so positiven Entwicklungen ihres Trainings erkennen können, dass zwar Erfolge da sind, aber man auch diese Prozesse unterbrechen müsste, um andere Inhalte ins Spiel zu bringen? – Sie war zu sehr im Detail, zu sehr im direkten Prozess, zu sehr in der Euphorie einer ständigen Verbesserung ihrer Einzelkompetenzen.

Point of return:

Genau in dieser Spirale, in der alles gefühlt nach Plan läuft, greift das „30 for 30“-Prinzip. Die Strategie dahinter ist: Nimm dich 30 Sekunden aus dem Prozess, um dir einen distanzierten Gesamtüberblick des Großen und Ganzen zu verschaffen, um Entscheidungen zu treffen, die deine nächsten 30 Minuten wieder zielführend ausrichten. „30 for 30“ ist gelebtes Zeitmanagement, welches fordert, einen Perspektivenwechsel bewusst für langfristigen Prozess durchzuführen. Dies ist im Therapie- und Profibereich die Aufgabe des Betreuers – Coach, Therapeut, Athletiktrainer, … ! Dagegen ist es ungemein schwer, sich selbst darin zu führen, wenn keine externe Hilfe vorhanden ist. Für die kommende Saison definierten wir gemeinsam immer wieder Abschnitte, in denen der Blick aus der Distanz getroffen werden sollte. Und obwohl ich als Betreuer dafür engagiert wurde, ist mir stets daran gelegen, dass der Athlet selbst um diese Aufgabe weiß und bemüht ist. Denn Trainingsprozesse sind auch Lernhilfen für wichtige Eigenkompetenzen.

Konsequenzen:

Training in all seiner Vielfalt ist äußerst komplex. Es gibt so viele inhaltliche Richtungen und auch die gewünschten Anpassungsprozessen (Adaption) unterliegen klar definierten Gesetzmäßigkeiten. Die Gefahr, sich im Detail zu verlieren, ist hierbei absolut gegeben. Die Kunst des (sich) Führens ist, auch alle notwendigen Positionen für die Steuerung des Ganzen im Auge zu behalten und bewusst einzunehmen. Dadurch stehen die Chancen gut, dass alle relevanten Punkte auch die Aufmerksamkeit bekommen, die sie am Ende brauchen. Das „30 for 30“-Prinzip ist eines meiner wichtigsten Tools in der professionellen Betreuung von Patienten und Athleten.